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Paulas Leben besteht aus Zeit. Zäher , langsam vergehender, unguter Zeit.  Eine Zeit in der der Kaffee beim Frühstück kalt wird und einen hässlichen trüben Film bekommt, eine Zeit in der einem beim Einkaufen die Tüten schwer werden und der Schneeregen kalt und schmerzhaft in die kleine Lücke zwischen Kragen und Haaransatz rinnt, eine Zeit in der niemand mit lächelnden Augen blickt und Worte nur Notwendigkeiten sind.

„Ein Mehrkornbrötchen, bitte.“

„Danke“

„Auwiedasn“

Paulas Leben ist schmerzende Zeit.

„Es wird besser werden“

„Wann?“

„Bald“

„Geduld“

„So etwas braucht Zeit“

„Zeit…“

„Zeit…“

 

Der Morgen kommt. Der Körper schmerzt. Langsam. Alles geht langsam. Ein unausweichlicher neuer Tag. Tätigkeiten. Die Zeit verstreicht. Margarine auf Toast.

Käse ist alle. Obst auch. Einkaufen. Essen. Warten. Das also ist Zeit. Das also ist Tag. Das also ist Leben. Abend. Endlich. Schlafen. Wachen. Dann nichts. Der Morgen kommt.

 

Der Winter ist kalt.

Der Frühling ist nass.

Der Sommer verbrennt.

Der Herbst verdirbt.

Wieder und immer wieder.

Als einmal noch Winter, aber doch schon wieder fast Zeit für den Frühling ist, folgt Paula ein Fahrrad. Ein Damenfahrrad, rot, gebraucht. Nichts  besonderes. Seine Reifen knirschen ein wenig im Schnee und so merkt Paula, dass ihr jemand folgt. Sie riecht auch etwas. Einen eigentümlichen Geruch. Nicht unangenehm. Es ist Schmieröl.

Als Kind hat Paula einmal die Scharniere vom Kaninchenstall geölt. Hat dann das warme braune Tier im Arm gehalten. So ein gutes Gefühl. Die Hände voller Öl. Kaninchengeruch und Stallgeruch und Ölgeruch. Eine gute Erinnerung. Paula erinnert sich aber nicht. Aber ein bisschen Kaninchenwärme hängt jetzt doch wieder an ihr. Paulas Zeit wird etwas schneller. Ein paar Sekunden sind tatsächlich nur Sekunden und nicht zähe Zeit.  Es  wird schon dunkel und das Knirschen  scheint so deutlich. Sie geht schneller. Hört Ihren Atem zischen, das pfropfenartige  Geräusch ihrer Schritte und das Knirschen der Reifen im Schnee. Sie hat das Fahrrad gesehen, sich danach umgedreht. Ein Fahrrad verfolgt sie. Sonst nichts. Sonst niemand. Nun fühlt sich Paula wie in einem Traum gefangen. Einer von denen, in dem man rennt und rennt , aber nicht von der Stelle kommt. Die Häuser scheinen näher zu rücken , eine Gasse zur bilden, die sich dicht über ihrem Kopf schließt , die Laternen schwanken ein wenig, ein langsamer, unheimlicher Tanz, der so gar nicht zu Paulas schnellem Herzschlag und keuchendem Atem passt. Viel eher zu dem gleichmäßigen Knirschen der Reifen im Schnee.

Sonst passiert nichts. Paula kommt zu dem Haus in dem sie lebt, stellt ihre Einkaufstaschen ab, kramt nach ihrem Schlüssel, schließt die Tür auf, steigt die Treppe hinauf in den dritten Stock. Nun ist sie sicher, aber keuchen muss sie weiter, denn die Treppe ist steil und die Tüten sind schwer. Wieder stellt sie die Taschen ab, kramt nach dem Schlüssel, öffnet die Tür, schließt sie hastig hinter sich, öffnet sie wieder, denn die Taschen stehen noch draußen.

Erschöpft lehnt sie an der Tür. Sie atmet tief ein, aber schon kommen wieder Leere und Elend und der Gedanke an das Fahrrad löst sich in dem dumpfen inneren Nebel auf.

Am nächsten Morgen aber ist etwas anders. Paula erwacht und der Gedanke an das rote, gebrauchte, anscheinend herrenlose Damenfahrrad ist wieder da. Ein klarer Gedanke ohne Nebel , ohne Schmerzen, vielleicht mit  Verwunderung.  Paula bewegt sich schneller, trinkt ihren Kaffee  fast hastig und geht die Treppe hinunter. Einfach so.

„Eine Zeitschrift kaufen, denkt sie sich, eine über Blumen und Gärten.“

Unten an der Haustür zögert Paula.

„Rad“, denkt sie, sonst nichts.

Es steht tatsächlich da, wie vergessen gegen die Hauswand gelehnt. Rot gegen Weiß.

Paula schaut schnell in eine andere Richtung, eilt am Fahrrad vorbei, aber das nützt nichts. Es folgt ihr. Diesmal hört Paula kein Knirschen, sondern  eher ein Zischen, denn es ist wärmer geworden und der Schnee taut. Sie spürt es auch, denn einer Ihrer Stiefel ist nicht ganz dicht und kalte Feuchtigkeit umhüllt bald den linken Fuß.

Es ist noch kein Mensch unterwegs, aber die Bäckerei hat schon geöffnet und Paula kauft ihr Brötchen und sucht nach einer Zeitschrift, aber es gibt nur Zeitschriften über berühmte Menschen und deren Sorgen, nicht über Gärten. Paula möchte noch nicht hinaus und so bestellt sie sich eine Tasse Kaffee und denkt  nach,  ob sie nicht etwas sagen könnte. Einfach sprechen. Ein „Es wird wärmer….“ formt sich  in ihrem Verstand und erreicht die Zunge. Paula holt Luft um die Worte zu formen, aber es ist nicht mehr nötig.

„Freut mich, dass es Ihnen etwas besser geht , Frau Kehl, sagt die Verkäuferin und blickt Paula  an. „Es geht Ihnen doch besser?“

Die denkt nach. Erinnert sich, dass der Name der Verkäuferin Frau Pate ist, und an die Namen der drei kleinen Pates und dass es da auch einen Hund gibt, aber keinen Mann, oder zwei Männer.

„Ja, sagt sie endlich, es geht mir besser….danke, Frau Pate.“ Und sie lächelt.

 

Das Fahrrad ist natürlich noch da. Es überrascht sie nicht und erschreckt  sie auch nicht. Es ist einfach da, so wie die Bäume im Park und die Autos auf den Straßen. Das Fahrrad folgt Paula jetzt ohne jeden Abstand. Es fährt bald hinter ihr, bald neben ihr. Einmal umkreist es Paula sogar und sie lacht fast laut auf. Es ist nur ein Glucksen, aber eben fast ein Lachen. Jetzt sieht Paula die ersten Menschen. Ein alter Mann, der seinen Hund spazieren führt. Einen Spaniel-Dackel-Mix, erkennt Paula und wundert sich, dass sie das bemerkt.  Zwei Jungen, die auf ihren Rädern halsbrecherisch um die Ecke sausen, eine Frau mit einem Einkaufskorb voll Pfandflaschen, der die beiden gerade noch ausweichen können.

Das Fahrrad fährt nun gleichmäßig und ruhig neben Paula her. Die Jungen und die Frau beachten sie nicht, aber Paula bemerkt, dass der alte Mann sie flüchtig  anschaut, den Kopf neigt, die Stirn runzelt  um Paula dann kurz, aber irritiert  zu betrachten. Etwas stört ihn. Er weiß nicht was es ist, aber Paula weiß es. Sie legt die rechte Hand auf den Lenker des Fahrrads.  Die Stirn des Mannes glättet sich und er schaut  hinunter zu seinem Hund.  Paula  ist erleichtert und wundert sich über dieses neue Gefühl. Ihre Hand liegt locker auf dem roten Lenker. Er ist kühl und metallisch. Es fühlt sich gut an.  Paula dreht sich nach dem alten Mann um. Er ist stehen geblieben und schaut ihr aufmerksam nach. Sie nickt ihm freundlich zu und er hebt den Arm zum Gruß. Nicht wie andere Leute, die den Oberarm eng am Körper lassen und nur Hand und Unterarm kurz empor schnellen lassen. Nein, er hebt den Arm leicht angewickelt hoch über den Kopf und wackelt  heftig mit der Hand. Jetzt erst erkennt sie ihn. „Guten Morgen, Kerr Krüger, ruft sie, „guten Morgen, Alfons.“  So heißt der Hund.  Der hört seinen Namen und bellt heiser.

Paula und das rote Fahrrad eilen weiter. Eigentlich will sie nach Hause und ihr Mehrkornbrötchen essen, aber das Fahrrad drängt sie ein wenig nach links, und da geht der Weg ab zum Park. Es ist ein wenig düster unter den alten, grauen Bäumen und Paula hat Angst, dass sich auch ihre Stimmung verdüstern könnte. Das möchte sie nicht.   So berührt sie das Aluminiumgehäuse der Klingel. Kühl. Das schwarze Stückchen Kunststoff an der Klingel fühlte sich angenehmer an. Paula drückt fest zu, die kleine Hebel  schnellt vor und gleich wieder zurück. Riiiing. Und gleich nochmal: Riiing. Rinnnng. Ringeling. Der düstere Moment ist vorüber. Die beiden kommen unter  den Bäumen hervor und vor ihnen liegt der Park. Nicht wirklich einladend zu dieser Jahreszeit, aber  schön angelegt und gut gepflegt.  Paula schiebt das Fahrrad den Kiesweg entlang, beobachtet Hundebesitzer, Mütter, Fahrradfahrer. Die Fahrradfahrer eilen vorbei und sehen zufrieden aus. Paula lauscht den keuchenden Atemzügen, bewundert die Geschwindigkeit, mit der  die Füße die Pedale in Bewegung versetzen.  „Fahrradfahren“, denkt Paula und betrachtet das rote Gefährt zu ihrer Rechten.  Der Weg, der vor ihnen liegt ist breit und gerade. Erst in einiger Entfernung macht er eine sanfte Biegung nach links. Dort beginnt ein Wäldchen  und dahinter der liegt schon der Kanal, der weit ins Land führt, aus der Stadt heraus.  

„Es könnte recht schön sein am Kanal, überlegt Paula, und draußen vor der Stadt ist die Luft auch besser. Würde mir gut tun.“ Sie betrachtet das Wäldchen und versucht die Entfernung zu schätzen. Zu weit! Paulas Blick wandert nach rechts. Mit einem Fahrrad wäre die Strecke überhaupt kein Problem. Überhaupt keins. Paula überlegt wirklich, ob sie mit dem Ding sprechen sollte. Manche Leute sprechen ja auch mit ihren  Katzen oder Autos. Da spricht sie aber doch lieber mit sich selbst. Das kennt sie schließlich. „Eine schöne Tour mit dem Fahrrad. Am Kanal mein Mehrkornbrötchen essen und vielleicht Enten füttern. Da hätte ich schon Lust drauf.“

Paula spricht sehr laut und überdeutlich. Es strengt sie noch an. Aber  noch während sie spricht, fasst sie den Lenker mit beiden Händen und schwingt sich auf den Sattel. Eigentlich erwartet sie eine Reaktion. Das Fahrrad könnte bocken und sie abwerfen , oder irgendwo hinfahren, wo Paula gar nicht hin will. Es passiert aber nichts. Paula tritt in die Pedalen und freut sich, dass das Wäldchen immer näher kommt. 

Es beginnt zu schneien und  das Rot des Fahrrads leuchtet freundlich im Licht der Laternen.  Sie spürt den Wind im Gesicht, die Sonne hat schon etwas Kraft. Es riecht nach Erde und Gras. Paula fühlt sich sehr lebendig, spürt ihre Muskeln und das Blut, das schneller durch ihren Körper gepumpt wird. Lebendig. Das Wäldchen nimmt sie auf. Die Bäume sind noch kahl, aber ihre Äste sind in fröhlicher stetiger Bewegung. Die Büsche, das Unterholz, verbreitet schon einen grünen Schimmer. Es ist ein so guter Tag. Für Paula. Und das Fahrrad. Fast scheint es, als würde sich die Natur in Paulas Gegenwart verändern. Der grüne Schimmer wird etwas intensiver, einige kleine Blüten wiegen sich im Wind, wo eben noch nackte Erde war. Vögel fliegen trillernd zwischen den Ästen der Bäume hindurch. Dann liegt auch das Wäldchen hinter Paula und sie biegt auf den schmalen Pfad ein, der zum Kanal führt. Hier muss sie absteigen  und das Fahrrad ein steiles holpriges Stück entlang schieben. Sie möchte sich nicht überanstrengen und natürlich das Fahrrad nicht beschädigen. Paula ist ein vorsichtiger Mensch. Auch in guten Zeiten. Da ist das Wasser. Fließt ruhig, fast bewegungslos. Es ist dunkles Wasser, eingerahmt von eisernen Wänden, überschattet von Baumkronen. Paula lehnt das Fahrrad sorgsam gegen einen Baum und setzt sich auf einen Stein am Kanal. Er ist kalt und sie wird hier nicht lange sitzen bleiben, aber sie möchte doch wie geplant hier ihr Brötchen verzehren. Sie befreit es aus der Verpackung, betrachtet die warme goldbraune  Farbe und die Körner, die durch die Kruste brechen. Im Kanal nähert sich ein kleiner Trupp Stockenten, ruhig zwar ,aber mit stetig steigendem Tempo. Sie versammeln sich im Wasser nahe bei Paula und ein besonders verwegenes Tier flattert die Metallwand empor und landet vor Paulas Füssen. Natürlich wirft sie der Ente ein Stück Brötchen hin und auch die Enten im Wasser gehen nicht leer aus. Doch ein Brötchen ist keine große Mahlzeit. Schon bald entfernen sich die Enten wieder und auch Paula wird der Stein ungemütlich.    Sie  radelt weiter. Stundenlang. Irgendwann verschwindet der Tag und Paula  entscheidet sich umzukehren.  Entscheidet sich. Und mit jedem Tritt in die Pedale spürt sie, wie das Leben , die Freude daran zurückkehrt. Die Beine schmerzen, an den Händen bilden sich erst rote, dann weiße Stellen. Morgen und vielleicht auch übermorgen wird Paula möglicherweise nicht sitzen können. Es ist bedeutungslos.  Als sie in ihrer Straße ankommt, ist es später Abend.  Kalt und dunkel ist es, dennoch ist die Straße nicht leer. Da stehen Menschen vor ihrem Haus und reden und als Paula näher kommt, winken sie und rufen und lachen.  Alle  Nachbarn sind da, haben sie vermisst, gesucht, gefunden. Lachen tun sie und Paula lacht mit. Das Fahrrad lehnt nun gegen die Hauswand: nicht vergessen, aber nun nicht mehr wichtig.  Als die Menschen lachend und erzählend ins Haus gehen, um noch ein wenig Zeit miteinander zu  verbringen, entfernt sich das Rad, rollt langsam die Straße entlang. Es beginnt zu schneien und  das Rot des Fahrrads leuchtet freundlich im Licht der Laternen.  

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